Sehr dramatisch kam sie daher. Die Überschrift über dem Aufmacher der neuen Samstags – Beilage des „Tagesspiegels“ am 20.08.! „Mehr Berlin“…… und dann das…..! Eine Journalistin, die sich aus welchen Gründen auch immer zwischenzeitlich über ihre Erfahrungen als Sozialpädagogin auslassen darf , breitet auf zwei Zeitungsseiten ihre Wahrnehmungen, Meinungen und ihr Halbwissen über die Struktur der Hilfen zur Erziehung nach dem KJHG (Kinder- und Jugendhilfegesetz) aus. Oberflächlich. Weitergehend frei von Faktenwissen. Auf BILD-Zeitungsniveau. Den ganzen Artikel gibt’s hier zu lesen….. Ich habe überlegt, ob ich dazu was schreiben sollte. Denn das was da am Samstag und heute (am 23.08.2011) in der Zeitung geschrieben stand ist furchtbare und und unsachgemäße Stimmungsmache gegen freie Träger im Jugendhilfebereich. „Schwarze Schafe“, die es überall gibt, müssen herhalten für eine pauschale Diskriminierung der wichtigen und schwierigen Arbeit der Träger der sozialen Arbeit.
Ich war sehr froh, dass es ich nichts schreiben muss. Denn diese Arbeit hat Oswald Menninger, der Geschäftsführer des Berliner DPW schon erledigt. Seinen offenen Brief an die Chefredakteure des Tagesspiegel möchte ich hier dokumentieren – und ich hoffe auf rege Diskussionen zu diesem Thema!
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Offener Brief an die Tagesspiegel-Redaktion 23. August 2011
„Sehr geehrter Herr Maroldt, sehr geehrter Herr Cassdorf,
der journalistische Grundsatz, auch die andere Seite zu Wort kommen zu lassen ist, wie ihn der Tagesspiegel lange Zeit gepflegt hat, ist im Artikel „Familien-HILFE! vom 20. August in Bezug auf die freien Träger leider nicht eingehalten worden.
Der PARITÄTISCHE Berlin setzt sich als Dachverband von circa 200 Jugendhilfeträgern seit mehr als sechs Jahren dafür ein, die fallbezogene Finanzierung von Erziehungshilfen in ein Sozialraumbudget für die Jugendhilfe einzubinden, um knappe Ressourcen fachlich noch effektiver einzusetzen und den ökonomischen Anreiz „mehr Fälle=mehr Geld“ aus dem Finanzierungssystem für Hilfen zur Erziehung herauszunehmen.
Nach vielen Gesprächen mit Senatsvertretern und Abgeordneten haben wir erreicht, dass unser Vorschlag, eine Budgetsteuerung der Jugendhilfe in zwei Bezirken zu testen, im Abgeordnetenhaus im Jahr 2008 beschlossen worden ist. Leider hat das Land Berlin bis heute nichts dazu getan, diesen Beschluss umzusetzen. Darüber findet sich in dem Artikel nichts.
Der Verband ist weiter an dem Thema dran: Beispielsweise sind der Jugendhilfereferent und zwei Trägervertreter im österreichischen Graz gewesen, um den dort praktizierten Ansatz eines Jugendhilfebudgets zu begutachten und in Bezug auf die Übertragbarkeit auf die Berliner Situation zu überprüfen.
Ferner ist es uns gänzlich unverständlich, wie es eine seriöse Tageszeitung zulassen kann, dass eine Redakteurin anhand eines Falles einen ganzen Berufsstand verunglimpft! Die Fachkräfte der freien Wohlfahrtspflege leisten mit ihrer Arbeit jeden Tag einen unverzichtbaren Anteil zum sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt. Hierfür verdienen sie unseren Respekt!
Beide Artikel zu HZE vom 20. und 23. August strotzen vor inhaltlichen Fehlern und lassen die journalistische Sorgfalt vermissen, wie sie vom Tagesspiegel zu erwarten ist.
Der Artikel vom 20. August stützt sich auf Sachverhalte bei einem anonymen Träger, von dem aus Pauschalaussagen abgeleitet werden, die für alle Träger in Berlin und der Bundesrepublik Gültigkeit haben sollen. Dies ist methodisch mehr als fragwürdig.
Ein grober handwerklicher Fehler ist unterlaufen, wo Statistik die Aussagen untermauern soll: Die abgedruckte Jugendhilfe- Statistik legt nahe, dass die Kosten für Hilfen zur Erziehung enorm gestiegen seien. Die Steigerungen sind aber vor allem durch die Kita-Kosten verursacht und nicht durch die Hilfen zur Erziehung. Die Kosten für die Hilfen zur Erziehung sind keineswegs in den letzten Jahren explodiert – weder bundesweit noch in Berlin.
Richtig ist, dass nahezu alle Berliner Bezirke die Haushaltsansätze für HzE überziehen – weil die Ansätze nicht den realen Erfordernissen sondern haushalterischem Wunschdenken entspringen. Der große Cut beim Berliner Jugendhilfebudget in den Jahren 2003 und folgende hat zu einer Minderung der Fallzahlen bei Hilfen zur Erziehung geführt, die fachlich nicht zu begründen ist. Seit 2005 steigen die Fallzahlen wieder an und haben jetzt den Level von 2002 überschritten. Kein Wunder – die soziale Lage von Kindern, Jugendlichen und Familien hat sich in den letzten 10 Jahren nicht verbessert. Im Gegenteil. Die Anzahl der Familien mit gehäuften Risikolagen nimmt zu.
Bereits der Stadtstaatenvergleich von 2007 hat gezeigt, dass Berlins HZE-Ausgaben pro Fall erheblich niedriger liegen als in Hamburg oder Bremen – obwohl die sozialen Belastungen der Familien nirgendwo so umfassend sind wie in Berlin.
Der Spardruck auf die Jugendhilfeträger ist enorm: Heute haben wir mehr HZE-Fälle als im Jahr 2002 – aber den freien Trägern stehen über 40 Millionen weniger als 2002 zur Verfügung (450 zu 408)! Trotz Kostensteigerungen in allen Ausgabenbereichen.
In ihren Artikeln finden sich viele Argumente, die staatlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten auszuweiten. Die unkritische etatistische Sicht ist eine Berliner Besonderheit, die im überdimensionierten öffentlichen Dienst in Berlin ihre Basis hat. Wenn die freien Träger sich angeblich das Geld selbst bewilligen, wie Bürgermeister Buschkowski nahelegt, darf die Frage erlaubt sein, wofür das Bezirksamt eigentlich bezahlt wird.
Das sind Fakten, die in den Artikeln nicht genannt werden!
Auch der Artikel vom 23. August enthält grobe inhaltliche Fehler. Ein Beispiel: „Die Kosten für die Heimerziehung sind dabei nicht das Problem.
Dafür müssen die zwölf Bezirke weniger zahlen als gedacht. Es sind die stationären Hilfen, die das Budget der Jugendämter strapazieren.“ Es ist aber so, dass Heimerziehung und betreutes Wohnen stationäre Hilfen sind. Was also wollen die Verfasser sagen?
Sehr geehrter Herr Maroldt, sehr geehrter Herr Casdorff, es wäre der Sache und dem journalistischen Anspruch des Tagesspiegel angemessen, den PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband Berlin, unter dessen Dach fast 50.000 Fachkräfte und zehntausende Ehrenamtliche wirken, zu diesem wichtigen Thema anzuhören und den benannten kritischen Punkten eine Stimme zu geben.
Mit freundlichem Gruß
Oswald Menninger, Geschäftsführer“
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